Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören.
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
Die Wurstküche
„Vor einigen Jahren, es müssen an die sechzehn Lenze her sein, habe ich meine Metzgerei
geschlossen. Keine Lust mehr, oder ist der präzise Ausdruck kein Bock mehr, mich täglich
mit Blut und Leber toter Leiber, die ich selbst in diesen Zustand beförderte,
herumzuschlagen. Die Metzgerei wurde zum Großen Bedauern der Nachbarschaft, und nicht
nur dieser, kam doch die Kundschaft auch von weit her um meine Spezialität die Blut- und
Leberwürste zu erwerben, unwiderruflich dicht gemacht. Das Rezept - ein Schuss, nein ich verrate nicht aus welcher
gegarten Substanz dieser bestand - hatte bereits mein Urgroßvater, der Gründer unserer
Metzger Dynastie erfunden. Nein, es ist nicht wie Sie vermuten. Kein schlechtes Gewissen
gegenüber meinem Vorfahren, dass ich die Tradition nicht weiterführe. Auch wenn ich
Ihnen jetzt den erhalten gebliebenen Wurstkeller zeige, der sich unter der Wohnung
befindet die ich vermiete. Es ist einzig ein Überbleibsel des Betriebs. Hätte mehr gekostet
alles zu entsorgen. Und ja, den Hut zu lüften gegenüber denjenigen die mir mein Leben in
wohlbehüteter Rente schenken, kann nichts schaden.
Alle Einrichtungen sind geblieben wie diese einst waren. Gut verschlossen. Aber ich denke,
wenn dieser Vegetarismus, gepaart mit dem Veganismus und dem um sich greifenden
Flexitarismus, weiter an Boden gewinnt, könnte einst der Wurstkeller Ausgangspunkt eines
Museums werden in dem mit künstlicher Intelligenz artifizielle Blut- und Leberwürste
hergestellt werden. Zur allgemeinen Erbauung von Schulen und Studenten. Nicht umsonst
ist der Wortkern von artifiziell Art, also Kunst, und was gibt es Erhabeneres als den Künsten
zu dienen? Und das als Metzger Dynastie. Ich kenne meine Verantwortung der Gesellschaft,
der Geschichte, der Kultur gegenüber. Will diese pflegen. Meinen Kind- und Kindeskindern
als Vermächtnis mitgeben. Also dieser Kellerraum ist mir heilig. Könnte einst Kulturerbe der
Menschheit werden. Den Zugang habe ich mit einem 13stelligen Code abgesichert. Den trage
ich in einer silbernen Kapsel um meinen Hals. Eine Kopie ist in einem Bankschliessfach
deponiert, in meinem letzten Willen den Weg zu dessen Schlüssel beschrieben, der bei
einem Notar hinterlegt ist. Ein Sparbuch habe ich errichtet, dessen Zinsen die Kosten des
Schließfaches zu decken haben. Habe an alles gedacht. Und die Künstliche Intelligenz hat
nicht nur Nachteile, nein, man muss nur deren Vorteile zu nutzen wissen. So, jetzt habe ich
Ihnen alles beschrieben. Wollen Sie den Mietvertrag für die Wohnung unterschreiben?
Wissen Sie bei der herrschenden Wohnungsnot stehen die Interessenten Schlange, denn der
Mietzins ist nicht nur human, sondern besonders günstig. Die einzige Bedingung die ich
dabei stelle, ist einmal jährlich, am Jahrestag des von meinem Urgroßvater eingeführten und
danach über hundert Jahre gefeierten Blut- und Leberwurstfestes Zugang zur Wurstküche
zu erhalten. Seit der Schließung des Betriebs zelebriere nur noch ich, meine Kinder und
Enkel interessieren sich leider nicht mehr dafür..
Der einzige Einlass ist durch diese
Mietwohnung sichergestellt. Dort hinten erkennen Sie das Panel zum Code. Doch bitte lassen
Sie niemanden auf der Tastatur herum klimpern. Eine Verschiebung, oder Beschädigung
könnte für mich und meine Traditionspflege verheerende Folgen haben.“
Nach der langen Suche nach einer Bleibe kommt mir der schrullige Vermieter mit seinem
Wurstküchencodefimmel verschroben vor, doch jedem Tierchen sein Pläsierchen, denke ich,
immerhin hat er das Leid Verbreiten in der Tierwelt freiwillig eingestellt. Also unterschreibe
ich den Mietvertrag auf der Stelle. Im Doppel. Ein Exemplar stecke ich in meine Aktentasche.
Bedanke mich auf herzlichste Weise. Will mit dem Vermieter ein perfektes Verhältnis
aufbauen.
„Ach ja, ich habe ganz vergessen Ihnen mitzuteilen, dass der besagte Festtermin in neun
Tagen fällig ist. Ich also dann in Ihre Wohnung einzudringen habe. Darf ich Sie bitten die
erste Dreimonatsmiete zuvor auf mein Sparkonto einzuzahlen. Bei den niedrigen heutigen
Sparzinsen benötigt dieses eine Blutauffrischung“, des Vermieters Augen blitzen bei diesem
letzten Wort fröhlich auf.
Mit den Schlüsseln in der Hand, beginne ich gleich meinen Umzug vorzubereiten.
Studentenmöbelschlepper organisieren. Liste der Ämter erstellen die zu informieren sind.
Erste Miete überweisen. Hunderte von Kleinigkeiten erledigen. Lade mir eine
Umzugscheckliste aus dem Internet auf meinen Lap. Drucke diese aus.
Bin glücklich alles innert acht Tagen geschafft zu haben. Wieder einen festen Wohnsitz zu
besitzen. Ein sicheres Dach über dem Kopf zu haben. Der Drohung der amtlichen
Ausquartierung aus der vorherigen Wohnung entgangen zu sein. Zur Feier des Tages öffne
ich eine Flasche Sekt. So ein Glücksfall! So günstig zu wohnen. Mit einer Unterschrift unter
den Mietvertrag auch meinen Geldproblemen entgangen zu sein, die der hohen früheren
Mietzinsverpflichtungen zu verdanken waren. Lege mich, es dreht sich die Decke über
meiner neuen Schlafstätte, ins wohlbereitete Bett. Zu viel Sekt …, sollte vorsichtiger sein.
Morgen ein normaler Arbeitstag. Muss fit sein. Sonst …
Die Augenlider werden schwer. Da ein Rumpeln. Viele kreischende Geräusche. Der Boden
schwankt. Schaukelt. Bewegt sich. Abwärts ... Träume ich? Helles Licht. Der Vermieter steht
über mir. Lächelt mir zu …
„Vergessen?
Morgen ist das Fest und die artifizielle Intelligenz benötigt Material um das Fest
der Tradition gemäß auszurichten …“.
Der Rest der Worte geht im Lärminferno der anlaufenden Maschinerie unter...