Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören.
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
Verloren
Mit Konzentration, aber auch mit Lässigkeit lese ich am Sonntag mein Sonntagsblatt, dem ich seit Jahren trotz aller online Angebote treu ergeben bin. Jogge jeden Sonntagmorgen die 3,8 km zum nächsten Zeitungsautomaten um das Blatt zu erwerben. Auf dem Rückweg dann zur Bäckerei. Einstellen in die Schlange. Schlagzeilen überfliegen. Schweisstropfen fallen lassend. Mich schlangenförmig vorwärtsarbeitend. Die Nachbarin mit kurzem Nicken grüssen. Ein langes könnte falsch verstanden werden. Als unsittliche Annäherung. Ist ja heutzutage nicht einfach das Leben. Aber ich halte mich an die Regeln. Auch kein Augenkontakt. Der könnte meine Begehrlichkeit verraten. Begehrlichkeit nicht nach ihr, der Nachbarin. Begehrlichkeit nach den so köstlichen Croissants deren Geruch mich bereits in der Schlange, Position 13, falls ich mich nicht verzähle, eingefangen haben. Jetzt ist so ein Tölpel am Tresen. Scheint den ganzen Laden auskaufen zu wollen. Einkaufswägelchen bei sich. Lädt ein, und ein. Nun kramt er in der Geldbörse. Zählt, und zählt. Will scheinbar kein Herausgeld. Genau bezahlen. Ein genauer Mensch, der die Schlange aufhält. Ein Schlangenbeschwörer? Da kann ich mich schon jetzt an die Kleinanzeigen auf der letzten Seite meines Leibblatts heranmachen. Die Zeit totschlagen. Totschlag? Mord?
Das Stichwort. Da gibt mir mein Verstand einen Stoss ans virtuelle Schienbein. Vernunft auch am Sonntagmorgen! Selbst wenn der Chef nicht zuhört. Nicht anwesend ist. Oder steht auch er in der Schlange? Hoffentlich hinter mir. Wenigstens einmal im Leben hinter mir. Ich vor ihm. Da! Ein Inserat das meine Pupillen magisch anzieht. Nicht ausziehen, gibt mir meine sittliche Warn-App zu verstehen. Tief eingebaut in meinem anerzogenen Gewissen. ‚VERLOREN‘, lese ich. Mit dickem Ausrufezeichen. Schrift 11 Punkte. Ausrufung 18 Punkte! Was ging da verloren? Die Schlange wandert. Ich bin der Nächste. Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst! Was verloren. Meine Geldbörse. Nein sie ist hier. Die Kleinanzeige lässt mich nicht in Ruhe. Ich bin von ihr gefangen. Gebunden. „Sie wünschen?“ Ja, was wünsche ich? „Zu wissen was verloren ging“. Die Bäckerin schaut mich entgeistert an. „Ist Ihnen nicht gut?“ „Doch doch“, erwidere ich, „sehr gut sogar, nur etwas heiss.“ „Croissants wie immer?“ Erlösende Worte. Doch der Teufel reitet mich. „Nein, will wissen was verloren ging!“ Breite die Zeitung aus, tippe mit dem Zeigefinger auf die Anzeige. „Das muss ich wissen. Deshalb, zum Donnerwetter bin ich angestanden. Habe die Schlange ertragen.“ Muss etwas überlaut die Worte ausgestossen haben.
Gemurmel in der Schlange. Wusste nicht dass Schlangen Murmeln können. „Lesen sie doch selbst“, bemerkt die Bäckerin. „VERLOREN die Suchmaschine. Wer hilft uns diese ohne Suchmaschine wiederzufinden?“ , zitiert sie.
„Haben Sie die Anzeige aufgegeben?“ Statt ins Croissant beisse ich in die Sonntagszeitung. Verliere mich in ihrem Geschmack. Druckerschwärze verliert sich farbig in meinem Gaumen.