Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören.
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
Schokoladenseite
„Schokoladenseite, dass ich nicht lache! Die ist längst an der Liebenssonne geschmolzen“, vernehme ich meinen hochverehrten Professor auf seinem Balkon, der mit wohlgepflegten Geranien geschmückt ist, ausrufen. Mit einem Tremolo das ich seiner Stimme nie zugetraut hätte. Ein hochanständiger Nachbar ist er, der immer seinen Filzhut, sein Markenzeichen, zieht, wenn er mir im Treppenhaus begegnet. Einige Sätze über das Wetter mit mir wechselt. Kein Wunder, er ist emeritierter Lehrstuhlinhaber der Meteorologie der hiesigen Hochschule. Hat zahllose Studierende durch Lernstürme und Tiefdruckprüfungen geführt und ist Vater von bestimmt über hundert Doktoren der Wetterkunde die unser Leben mit ihren Voraussagen, die dann nachträglich kritisiert werden, durch unser tägliches Leben be- oder vergleiten. Was ist wohl in ihn gefahren solche Worte gegen seine Ehefrau zu benutzen? Niemand anderes kann meiner Ansicht nach bei diesen Distanzregeln sich sonst in der Wohnung aufhalten. Es sei denn, es sei denn? Halt! Meiner Fantasie die Trensen hart anziehen. Nicht weiter spekulieren. Aber, widersetzt sich diese mit dem Gedanken: ‚Und wenn der Streit eskaliert? Die Beiden, wer auch immer, ob des Streits sich die Schädel einschlagen, ein Desaster sich ereignet. Ein Totschlag aus Aufeinanderlebens- nicht wie die üblichen Auseinanderlebensgründen? Was dann? Musst eingreifen. Lockere die Zügel aber rasch!‘
Auf wen nun hören? Den Anstand? Die nette Nachbarschaftsroutine? Ist es einzig ein kleiner Tiefdruck oder ein Tropensturm, gar ein Tornado der ausser Kontrolle gerät? Habe ich das Recht einzugreifen trotz der strengen Besuchsverbote? Überwinde mich. Trete in den Hausgang. Stehe zweifelnd vor der Professoren-Wohnung. Höre auf- und abflauende Stimmen. Nehme Mut in beide Hände. Betätige die Klingel. Ding-Dong. Schön melodisch erklingt diese. Friedlich, als sei sie eine indianische Friedenspfeife. Höre Schritte. Feste. Männlich. Stark. Ist die Tat bereits vollbracht? Und das an Ostern. Diesem friedvollen Fest. Polizei alarmieren? Der Schlüssel klirrt. Ins Schloss gesteckt! In Deckung gehen? Wegrennen? Ist er bewaffnet? Ausser Kontrolle wie Wetterlagen die er bestens kennen muss. Er öffnet die Wohnungstüre. Steht da im Morgenmantel. Haar gescheitelt. After Shave Duft verströmend. Ich trete zurück. Abstand halten! Er sieht mich aus seinen wässrigen Augen lange an. Räuspert sich: „Wie geht es Ihnen? So lieb dass Sie vorbeischauen! Ach meine Gemahlin hat ihre Hörgeräte verlegt und wir sind so fassungslos, weil das Schoko-Ei, das uns das Enkelkind vor die Türe legte, auf dem Balkon, wo wir den Osterfrühstückstisch deckten, einfach so dahin geschmolzen ist. Ja, sonnige Tage haben auch ihre Schattenseiten!“