Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören.
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
PUSTERN
Was freue ich mich wie ein Kind auf meiner Kinder Ostereiersuche. Sie in der kleinen Wohnung, in unserem mit Holzverschlägen abgetrenntem Keller, ja gar im Treppenhaus aufgeregt nach des Osterhasen Ablageorte suchend rumwuseln zu sehen. Passt zum Frühjahr. Zum Aufbruch. Der Beginn eines neuen Jahresabschnitts, der, so hoffe ich, besser sein wird als der vergangene, der uns mit Sorgen überhäuft hat, derart vieles auf den Kopf stellte. Nicht in Yogaform, nein, zahlreiche Werte, die wir alle teilten, beinahe, als seien diese in Salzsäure gefallen, auflösten uns alle um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zurückgeworfen haben.
Als klitzekleiner Ausgleich will ich uns heute, inzwischen ist der Ostersonntag morgen angebrochen, an dem so alten überlieferten Brauch erfreuen.
Schon geht es los! Die Kinder stürmen in unser Schlafzimmer. Keine Spur von Müdigkeit in deren Augen. Ihre Vorfreude hat als Augensandbesen gewirkt. So tatendurstig habe ich die Kids bereits lange nicht mehr gesehen. „War der Osterhase bereits hier? Habt ihr ihn gesehen? Weshalb nicht Salz auf sein Schwänzchen gestreut, damit er stehen bleibt. Hätten ihn so gerne gestreichelt! Ihm gedankt!“, rufen die hellen Stimmen durcheinander. Strecke und recke mich! Stehe auf. Gebe bekannt, dass ich mitten in der dunklen Frühjahrs Nacht ein auffälliges Rascheln vernommen hätte, das durchaus vom Osterhasen stammen könne. Sie sollen sich auf die Suche begeben, ermuntere ich sie. Und, ermahne ich, bitte alle Fundstücke auf den Wohnzimmertisch legen, damit diese dann gerecht verteilt werden können. Und fort sind die Ungestümen!
Dann höre ich ein Treppenlaufen. Ein Türenschlagen. Ein Schrank Öffnen. Ein Regenschirm Aufspannen, ein Klodeckel Knarren, ein Backofen- und Kühlschrank Klappern. Eine Geräusche-Kakofonie wie sie jeweils nur am Ostersonntag in der Früh erklingt, mich an meine eigene Kindheit erinnert. An die damalige Suche. An den folgenden Osterschmaus. Ja, Traditionen setzen sich über Generationen fort. Werden womöglich in Gene eingepackt, bemerkt meine Gattin die sich an der Emsigkeit der Kinder ebenfalls erfreut. Und bereits treffen die ersten Fundstücke ein. Wundervoll bemalte Eier. Ein Biscuitschäfchen. Ein Schokohase, der mich an eine meiner Kindheit Tragödchen erinnert. Das Fundstück aus Schokolade hatte ein grosses Loch auf Höhe seines Herzens. Ich war untröstlich. Beschuldigte meine Geschwister diesen Teil herausgebissen zu haben. Doch, wie Mutter mich darauf hinwies war der Bösewicht, oder besser gesagt die Bösewichtin die Sonne, denn das den Hasen umgebende Cellophan war verschweisst, wies keinerlei Verletzung auf.
Jubelnd kommt der Älteste angerannt. Ein grosses Ei, ganz unschuldig weiss in der linken Hand tragend, legt es auf den Tisch und huscht erneut ab. Mir ist nicht bewusst, dass ich ein unbuntes Ei versteckt habe. Nehme meinen Plan hervor in dem ich alle Unterschlüpfe für den Ostersonntag fein säuberlich eingetragen hatte, um zu verhindern, dass es im Sommer in unserer Wohnung nach verfaulten Eiern riechen soll.
Endlich geht es jetzt um die Verteilung der Fundsachen. Der Beute. Einstimmig wird mir das grosse weisse Ei zugesprochen. Ich sei der Grösste, der Ausdruck der mir, ich gebe es offen zu, sehr schmeichelt. Als jede und jeder unserer Familie sein Osterhügelchen vor sich aufgehäuft hat, schlägt die Kleinste vor zum Eierkampf zu schreiten: ‚Wer hat die härteste Schale?‘, lautet das Spiel. Natürlich habe ich zu beginnen. Mein Ei, das grösste, ist mit Schwachheit geschlagen, ganz entgegen seinem so robusten Aussehen. Seine Schale weist nach dem ersten Gegenschlag bereits Risse auf. Alle freuen sich darüber und ich mache gute Miene zum bösen Spiel. Beginne das Ei zu pellen. Doch statt Eiweiss und Dotter enthält dieses ein Leporello, das ohne mein Zutun herausquillt. Greife nach meiner Lesebrille, denn die Schrift ist sehr klein geraten. Lese laut vor, alle spitzen die Ohren:
„ES WURDE AMTLICH VERFÜGT, DASS FORTAN UNTER STRENGSTER STRAFE OSTERN IN P-USTERN UMBENANNT WIRD. DENN ICH DER GROSSE P, PUSTE ALLE LÄNDER IN EINEM GROSSEN PUST WEG UND FORT! OSTERN SOLL IN ZUKUNFT AUF ALLE ZEITEN BIS IN DIE EWIGKEIT ZU MEINEN EHREN IN P-USTERN UMBENANNT WERDEN, WOBEI DAS P UNTER ANDROHUNG DER AUSLÖSCHUNG DES SCHREIBERS BESONDERS GROSS DARZUSTELLEN IST!!!“
Mich packt beim Vorlesen der kalte Schreck, hole tief und noch tiefer Atem und puste, unterstützt von der ganzen Familie den P-uster und das Wort P-ustern einfach ins doppelte Niemandsland, auf dass es auf ewige Zeiten dort umgeben von Winden aus allen Himmelsrichtungen verbleibe und friere, bis es in einem nie wieder auftauenden Gletscher verschwinden möge …