Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören.
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
Lippen Schürzen
Beobachte seine Lippen. Die sind so sinnlich. Ich könnte mich in sie verlieben. Bin überzeugt, dass ich ihn mir angeln kann, wenn ich nur will. Immerhin bin ich hübsch. Das bezeugen mir die allermeisten meiner Freunde. Und erst meiner Bekannten und Unbekannten die sich mir annähern wollen. Erobern. Mich mit ihren männlichen Tentakeln zu packen wünschen. Mit den hunderten von Fangarmen, neben denen Tintenfische sich wie Zwerge ausmachen! Nun, ich bin nicht leicht zu fangen. Kein Leichtfang. Keine einfache Beute. Im Gegenteil. Voller Haken. Angelhaken. An denen sich Männer festbeißen können die aber nie an Land gezogen werden. Diese Lippen! So anmutig bewegen sie sich. Als würde eine überirdische Melodie den Weg auf unsere Erde suchen. Ich vernehme Worte. Doch deren Sinn wird vom Anblick und den in mir ausgelösten Gefühlen vollkommen überdeckt. Was er wortreich zum Ausdruck bringt lässt mich kalt. Hoffe einzig, dass der Redefluss nicht unterbrechen wird. Die Wortquelle nicht versiegt. Seine Lippen sich nicht plötzlich versiegeln. Ermüdet das Wortgemenge segnen werden. Stoßgebete verlassen meinen Kopf als luftige, stumme Gedanken, während ich ihn ermuntere seinen, mir bisher unverständlichen Wortfluss, unter keinen Umständen zu unterbrechen. Noch nie sah ich ein Gegenüber so gekonnt und eindrücklich seine Lippen schürzen. Ich bin einfach hin. Könnte diesen Bewegungen lebenslang zusehen. Mich in sie vertiefen. Darin versinken. Nur immer mehr davon erhaschen. Nie satt werden davon!
Und da! Ich befürchte das Schlimmste. Eine Schweigeminute, eine Schweigestunde. Gar ein Wortfastmonat? Unvermittelt sind sie stehen geblieben. Seine Lippen. Als seien sie eingefroren. Nur noch ein Strich, der mich an die Strichmännchen meiner Frühkindheit erinnern, als die Mutter bemerkte: ‚Aber nicht so, sieht ja erztraurig aus. Schwung musst du diesem Strich verpassen!“ Doch wie das heute vollbringen? War meine Mutter hellseherisch veranlagt? Wie soll ich erneut diesem Körperteil Leben einhauchen? Ist es überhaupt ein Körperteil, nicht eher eine Wulst?
Eine Hautwulst die gelernt hat sich zu bewegen. Aber so anmutig. So verführerisch? Jetzt begleiten meine Augen seine Hände, die den Schweiss von den Lippen wischen der durch die Wort-Anstrengungen entstanden ist, nach unten seinem Körper entlang gleiten lassen. In seine linke Hosentasche greifen, ein Stück blauen Stoffs entnehmen, an dem zwei Enden pendeln. Diesen zu den von mir begehrten, ja vergötterten Lippen führen und gekonnt damit seine unbeweglichen Lippen beschürzen. Meinen Augapfel-Blicken entziehen. Lippen schürzen, da hast du es ja, sagt mein Verstand zu meinen Augenblicken!
Immerhin, denke ich, kann ich dadurch eine Blaupause mit in meine Träume nehmen ...