Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören.
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
Lebenspfandanstalt
Ich war seit meiner Auswanderung nach Übersee vor 35 Jahren nicht mehr in meiner Geburtsstadt zu Besuch. Diesmal habe ich mir vorgenommen, länger zu verweilen, mir in alten Erinnerungen einen Schwelg-Cocktail zu genehmigen. Orte der ersten Liebe wieder aufleben zu lassen. Die Weiher meiner Kaulquappen-Fänge aufzusuchen. Meine erste Banden-Schlägerei und deren schmerzhafte Spätfolgen nachzuempfinden. Mich der Hinterbusch-Zigaretten-Übelkeits-Orgien zu erinnern und in Hunderten von Erlebnissen meiner Kind- und Jugendzeit zu baden, ohne dabei zu ertrinken!
Die einzige Befürchtung, die mich dabei begleitet, ist, dass die geplanten zwei Wochen des Aufenthalts kaum für all das Vorgenommene reichen werden und ein wichtiges Abenteuer oder gar zahlreiche Affären unters Eis geraten und dort mangels Sauerstoff elendiglich ersticken könnten. Wie hiess doch die dritte Freundin? Wie dufteten ihre blonden Zöpfe, oder waren diese schwarz? Solche Gedanken begleiten mich an diesem sonnigen Vormittag, an dem ich mich so gegen all meine selbst anerzogenen Gewohnheiten zu unmöglich frühen Zeiten aus dem Bett geschält habe, um die Zeit in meinem Geburtsort zu nutzen.
Das erste Ziel ist das Wohngebäude, in dem ich aufgewachsen bin, von der Geburt bis zur früh eingesetzten, so schmerzhaft verlaufenden Pubertät. Was hat sich da alles im Aussehen geändert! Die alte Eiche verschwunden. Hochhäuser haben den Fussballplatz verdrängt. Und ein Prachtpalast mit hohen, der griechischen Baukunst nachempfundenen Eingangssäulen steht an der Stelle der elterlichen Wohnstätte, die denselben Weg ins Nirwana, in die Versenkung gewandert ist wie meine Eltern. Über dem Eingang des Palais prangt eingemeisselt in Stein die Schrift LEBENSPFANDANSTALT.
Noch so ein hochrentabler Versicherungskonzern, denke ich beim Betrachten des Hochhauses, aus dem beleuchtete Arbeitsstätten den Versuch unternehmen, warm zu strahlen, um nach aussen Vertrauen aufzubauen. Da werden bestimmt Anträge über Anträge behandelt. Lebensjahre addiert. Auf langes Leben der Versicherten gehofft, um Auszahlungen zu verhindern oder zumindest zu verschieben. Wundere mich als erfolgreicher Anlageberater, noch nie von dieser Anstalt gehört zu haben. Muss, das durchkreuzt meine Erinnerungstour, mehr über das Unternehmen erfahren. Meiner Kundschaft dadurch Alternativen anbieten können.
Trete durch das Portal. Eine marmorne Eingangshalle stattlichen Ausmasses erobert meinen Blickwinkel. Ähnelt einer Schalterhalle einer Grossbank. Schalter an Schalter. Alle beschriftet. Hell beleuchtet. Dahinter adrett aussehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Einheitskleidung. Was mich erstaunt, ist, dass ebenfalls einheitlich vor jedem Schalter sozusagen als Schmuckstück ein Totenschädel liegt. Ob diese wohl echt sind, rast ein Gedanke durch mein Hirn, lässt ein leichtes Gruselgefühl meinen Spinalkanal im Laufschritt hochkriechen, die Widersprüchlichkeit der Halle dabei hervorragend in meinem Inneren spiegelnd.
Da schreitet ein Herr in Zylinder und Cutaway auf mich zu! Streckt mir die Hand zum Gruss entgegen. Überlege kurz, ob ich einschlagen soll. Vorsichtshalber lehne ich das ab, verschränke die Arme auf dem Rücken. Der Herr ist, so scheint es, nicht enttäuscht, tätschelt, nein tatscht seine Pranke auf meine Schulter, sodass ein leichter Schmerz entsteht. Sieht mich mit stechendem Blick an. Mit melodischer Stimme erfragt er mit einem einzigen Wort mein Alter:
„Jahrgang?“
Soll ich antworten? Wahrheitsgemäss? Oder fakend?
Entscheide mich zur Ehrlichkeit.
„Folgen!“ Jetzt mit harter befehlsgewohnter Stimme entstürmen die Worte seiner Kehle.
Führt mich zum Schalter, der in römischen Zahlen mit meinem Jahrgang geschmückt ist.
Eine Beamtin muss mit ihrem faltendurchzogenen Gesicht eine Jahrgängerin sein, begrüsst mich herzlich mit einer Stimme, die der meiner ersten Jugendliebe ähnelt. Erkundigt sich, wie viele Jahre meines Lebens ich heute verpfänden will. Muss einen ziemlich verdatterten Gesichtsausdruck aufsetzen, denn sie erkundigt sich, ob ich nicht wisse, mich in einem Pfandhaus für Lebensjahr-Abgaben zu befinden. Schiebt durch den Schalter einen vielfarbigen Katalog. In diesem sind Bilder von Wild- sowie Haus- und Meerestieren in Garten-Eden-Vielfalt zu sehen.
Was soll das?, denke ich. Schüttle nur leicht mein Haupt. Wähne mich in einem Albtraum. Weiss keine Antwort auf die Frage der Hinterdemschaltersitzenden. Empfinde, welch seltsames Gefühl, mein Denken bereits als verpfändet. Als Pfand?
Bleibe stumm.
Ein weiterer stechender Blick der Beamtin. Darauf mit leiser Stimme:
„Ihrer Verschwiegenheit folgend habe ich für Sie die Abgabe von 4,7333 Lebensjahren an die für Sie reservierte Inkarnation eines bunten exotischen Fischchens in einem stets warmen Aquarium bestimmt …“
Und als Bonus ein weiterer DREISATZROMAN aus meiner Feder:
E X S O R T I E R E N
Exaltiertes
Extraiertes
Zementiertes.
Unlogisch Logisch
Negativ in Positiv
Verdrehte
Taten.
Strahlend einzig
Ego beachtend
Macht brutal
TOTAL …