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Grosselternzeit

Die Parlamente arbeiten meistens nicht sehr effizient. Hin und Her gehört zur politischen Routine. Alles muss abgestimmt und koordiniert werden. Am schlimmsten wird es meist, wenn ein Anliegen nicht von der Regierungsbank, sondern von der Opposition eingebracht wird. Mittels einer parlamentarischen Anfrage, die dann durch die parlamentarischen Mühlen geschleust wird. Beide Kammern müssen das Anliegen behandeln. Sich damit auseinandersetzen. Nicht nur im Plenum. Nein, vorerst in den entsprechenden Ausschüssen und Kommissionen. Sitzungstermine werden angesetzt. Experten angehört. Mitglieder der Gremien bringen ihre Anliegen ein. Deren Änderungsanträge, die wiederum Anhörungen auslösen. Diskutiert werden. So erging es auch dem Anliegen des Abgeordneten Schmidt, analog zur Elternzeit eine Grosselternzeit mit Betreuungsvorteilen als Gegenleistung einzuführen, die auch auf Urgrosseltern auszudehnen sei. Bei der anhaltenden staatlichen Finanzknappheit kam die größte Gegnerschaft von den Abgeordneten, die sich mit Finanzfragen befassten, und die vehementeste Zustimmung von den Sozialpolitikern, was zu erwarten gewesen war.

Medien welcher Art auch immer outeten sich entweder als acharnierte Gegner oder aber als glühende Befürworter des Schmidtschen Anliegens. Leitartikel, Cover von Illustrierten, Leserbrief-Spalten, Online- und Offline-Kommentare, Talkshows - alle befassten sich mit der Grosselternzeit.

Als der Ausschuss für soziale Fragen weder Herr noch Frau der Lage wurde, beschloss dieses Gremium, eine eigene Unterkommission ins Leben zu rufen. Dort entspann sich zuerst ein Kampf um den Vorsitz, da dieser die Tagesordnung bestimmen kann. Tage vergingen, um diese entscheidende Frage zu einem allseits akzeptierten Vorschlag des Laufs der Dinge zu erzielen. Doch auch mit der dann einstimmig angenommenen Traktandenliste verhedderten sich die Diskussionen in unerhörte, kaum je zuvor gesehene Dimensionen. Wie finanzieren? Abzug von Rentenjahrbezügen? Rente mit 83 für Grosseltern? Abschlagsfreie Enkelunterhaltsabzüge? Oder gar MwSt.-Freiheit für Enkelbetreuung? Es purzelten nur so die Ideen! Ein wahres Kreativitätskarussell, doch keinerlei Einigung. Einzig teilweise giftige Debatten und gegenseitige Unterstellungen.

Schlussendlich wurde ich als vereidigter Sachverständiger hinzugezogen, um ein Gutachten über die Frage der Einführung der Großelternzeit zu verfassen. Mir wurde eine angemessene Zeit eingeräumt; der Unterausschuss erwartet einen valablen, leicht umsetzbaren Lösungsvorschlag innerhalb nützlicher Frist.

Bereits diese Zeitdefinition bereitet mir Kopfzerbrechen. Nützlich? Das Gegenteil von unnützlich? Bestimmt nicht nutzlos, folgerte mein Intellekt. So brüte ich bereits seit Tagen über dieses Wort vor mich hin. Brüte ich diese nach allen Regeln der den Hühnern abgeschauten Kunst richtiggehend aus. Beobachte, wie die einzelnen Wochentage sich gegenseitig jagen. Vor sich hertreiben, bis diese erneut im Kreis der Wochen erscheinen. Sich gegenseitig begrüssen, bevor die Jagd wiederum beginnt. Erkenne, dass durch die stete Wiederholung des Fressens und Gefressen-Werdens Abgebrühtheit, ja, Routine entsteht. Tempo, das sich in Langsamkeit verwandelt. In betulicher, behäbiger, ausgebremster Geschwindigkeit. Und wie ich mich damit anfreunde, mich in diese Antigone fallen lasse, wie in einer Wiege, drohe darin einzuschlafen. Da erschüttert ein Slowmotion-Gedankenblitz meinen Geist.
Nur die Langsamkeit kann eine Antwort auf die mir gestellte Aufgabe zumindest zum Teil erteilen. Und wer wäre besser geeignet als eine Nacktschnecke, die sich nicht in ihr Haus verkriechen kann, mir eine Antwort auf die Grosselternzeit zu erteilen? Ich mache mich deshalb auf in die Natur. Lange hat es nicht geregnet. Staub liegt über allem und die Hitze drückt mich beinahe in die Wiese zu einem Mittagsschlaf des Gerechten. Da erblicke ich mitten auf der geteerten, in der Hitze flimmernden Straße eine kleine rote Schnecke, die mich mit ihren Fühlern anstupst, mir dadurch Gedankenpost übermittelt. Sich erkundigt, ob ich als Mensch nicht die alte Sage zur Realität werden lassen könne, die Teilung des Roten Meeres in ihre Situation abwandeln könne. In Teerteilung. Das sei doch nicht zu viel verlangt und werde ihr und den Ihrigen das Leben retten. Sie würden es mir dann tausendfach vergelten.

Aus meinem nahen Garten besorge ich eine Gießkanne voll klaren, aus ehemaligem Regen bestehenden Wassers. Benetze damit die staubige Teerstraße. Die Schnecke verbeugt sich vor mir, kriecht in ihrem Gang der Dinge betulich im Schneckengang auf die andere Straßenseite. Und verwandelt mich zum Dank in eine rote Schnecke, dem glücklichsten Wesen, das sich nicht um die Zeit zu scheren hat.

Der Unterausschuss wird deshalb noch lange gemäss dem griechischen Kalender auf mein Gutachten zu warten haben, denn im Schneckenreigen der Tage, Wochen, Monate und Jahre ist die Verfassung dieses so vertrackten, so wichtigen Gutes über die Grosselternzeit,  trotz Ungeduld gnädigst ungeduldeter Geduld, mehr als darauf angewiesen ...


Und als Bonus ein weiterer DREISATZROMAN aus meiner Feder:

G R O S S E   Z E I T

Was für eine grosse Zeit
In der wir heute leben
Stets neue Beben
Sich ergeben.

Jede und gar jeder soll sich 
Mit seinem persönlich Scheibchen
Mittels absoluter Garantie bereichern.

Niemand leer ausgehen
Kein Wehwehchen
Unbeachtet
Bleiben.




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