Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören oder hier kostenlos und werbefrei erhalten >>
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
Gescheiter
“Gescheiter bin ich geworden!“, bemerkt mein Freund beim ausgiebigen Frühstück, das ich ihm am heutigen Sonntag bereitet habe. Bereits gestern stand ich an Herd und Backofen, um ihn dann am folgenden Tag zu verwöhnen. Wir sind selten zusammen. Sein Beruf als Kapitän eines Frachtschiffs bringt ihn um die ganze Welt. Oft ist er wochenlang unterwegs und wir bleiben nur über die sozialen Netzwerke in Kontakt. Stets fürchte ich seine Hafenaufenthalte, habe ich doch so viel Seefahrer-Literatur gelesen, in der die Aufenthalte in Seehäfen der Schiffsbesatzungen ausführlich beschrieben werden. Kann er widerstehen? Das ist die Frage, die mich foltert, und noch viel mehr die quälenden Gedanken, dem Mann meiner Träume nicht zu vertrauen, was, schlimmer als tausend maritime Flohbisse, juckende Gewissensbisse bei mir auslöst. Wie kann ich nur!
Und nun die vier Worte “gescheiter bin ich geworden!“. Wobei er genüsslich in das eigens für ihn besorgte, frische Croissant beisst, dessen Zipfel geschickt entfernt und dabei gemütlich knurrt, als sei er ein zufriedener Bär.
"Gescheiter". Klar, dass ich unmittelbar nachfrage.
„Wo und wie?“
“Ach“ antwortet er. „Ich habe dir vorhin etwas verheimlicht. Das möchte ich dir nun offenlegen. Eine Art Beichte ablegen. Ein t habe ich unterschlagen. Ein einfaches t!“
Was bin ich über seine Worte erleichtert.
Nicht einmal ein sagenhafter Rausch war es. Denn wer könnte von Tee betrunken werden.
„Ein einfaches t!“, fährt er fort. „Nicht GESCHEITER, NEIN, GESCHEITERT BIN ICH.“ Und jetzt beisst er elegant das andere Ende des Croissants ab, zieht dabei eine Schnute, wohl deshalb, da er sich bewusst wird, dass kein weiteres Croissant-Endstück auf ihn wartet. Der Genuss, den ich ihm bereitet habe, nicht unmittelbar wiederholt werden kann.
Ich frage mich natürlich, wo er gescheitert ist. Was ihn zu diesem Scheitern führte. Ein Hafenaufenthalt? Sogleich steigt der Verdacht in mir auf, er sei der Versuchung, welcher auch immer, erlegen. Wie vorgehen, um das zu erfahren, ohne ihn vor den Kopf zu stossen? Direkt fragen? Denke, das könnte ihn erschrecken und seine lieblichen Lippen versiegeln und mich im Ungewissen lassen, was bestimmt der falsche Weg ist, mich auf den Holzweg führen kann, der dann einfach im Nichts, also ohne Antwort für mich endet. Deshalb muss ich einen anderen Weg einschlagen. Sackgasse meiden? Mich in Sack und Asche kleiden? Da würde ich ihn bestimmt an einen kommenden Hafenaufenthalt verlieren. Mein Leben in Trauerseen tauchen.
Ich beschliesse, ihn nach einer Liebesnacht, kurz bevor er sich an meiner Brust liegend eingekuschelt in sein Traumland aufmacht, liebevoll nach seinem Versagen, nein nach seinem Scheitern zu fragen. Und tatsächlich entringt sich ihm ein tiefer Seufzer und er beginnt leise und geheimnisvoll zu erzählen:
“Als Kapitän bin ich der Herrscher meiner kleinen Welt. Ich habe absolute Befehlsgewalt. Und diese verleitet, wie jede Macht zu Fantasien, zu scheinbar unerfüllbaren, in einem lauernden Wünschen.
Hoch im Süden, über den südlichen Polarkreis hinweg, beobachtete ich einst die Albatrosse. Eine einzigartige, recht grosse Vogelart, die auch im Fliegen schlafen kann, also nicht auf Festland angewiesen ist. Doch zum Brüten muss auch dieses Flugtier sich ein Nest bauen, um dann den Nachwuchs bis zur Flugfähigkeit zu ernähren, grosszuziehen. Zu diesem Zweck muss der Albatros auf Futtersuche gehen. Um sein Gewicht in die Luft zu erheben, benötigt er einen langen Anlauf, wofür ein Abhang die besten Voraussetzungen bietet. Als ich damals erneut in zivilisierter Gegend mein Schiff zu führen hatte, beobachtete ich Tragflügelboote, die den Passagierverkehr für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten haben. Elegant erheben sich die Boote aus dem Wasser, scheinen alle Schwerkraft abzulegen, genau wie die Albatrosse. Mein inniger Wunsch konkretisierte sich nun immer stärker. Meinem doch eher schwerfälligen Kahn das Fliegen beizubringen. Es dem Albatros und den Tragflügelbooten trotz seiner Grösse und Gewicht gleich zu tun. Dafür wählte ich einen stürmischen Tag aus. Begab mich in Begleitung des ersten Morgengrauens auf die Aussenbrücke, die ich zu benutzen habe, um an den Pier zu fahren. Breitete meine beiden Arme aus, hob und senkte diese, den Albatrossen abgeschaut, auf und nieder, erwartete jede Sekunde ein Abheben meines Vehikels. Doch nichts geschah, ausser dass der erste Offizier, mein Untergebener, zu mir gerannt kam, sich um meinen Gesundheitszustand sorgte, mich in meine Kabine begleitete und mir einen doppelten Whisky einschenkte, nach dem ich mich in meinen Traum bis zum kommenden Morgen verabschiedete, in dem ich das Schiff kinderleicht zum Fliegen gebracht habe.
GESCHEITERT, GESCHEITERT …, endet mein Liebster seine Beichte.
Da bemerke ich, wie Tränen aus seinen Augen strömen, als sei es ein Wasserfall, und als ich diese zu trinken beginne, stelle ich fest, dass sie süss und nicht salzig schmecken. Bestimmt ist mein Liebster also mit der Süsse nicht gescheitert ...
Und als Bonus ein weiterer DREISATZROMAN aus meiner Feder:
F L U G L A H M
Hätten die Menschen Flügel
Wären wir alle bestimmt
Viel und ansehnlich klüger.
Denn dabei liessen wir
Stürzen flugelahm
All die Lügen
Aufgetischt
Tagaus
Tagein.
Das Wahre
Sich dann erholen
Deepe Fakes uns nie
Mehr Geist vernebelnd
Stund um Stund verkohlen.
Die Wochengeschichte und/oder der Dreisatzroman können stets mit Quellenangabe (https://www.francois-loeb.com//kurzgeschichten-kostenlos-lesen/geschichten-erhalten/) auf Ihrer Homepage Ihrem Blog, oder der Vereinszeitschrift kostenlos aufgespielt werden!
Ich freue mich darüber!!