Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören.
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
Die Fünfte Jahreszeit
„Also Verdis ‚VIER JAHRESZEITEN‘ ist ab heute Makulatur“, mit ernstem Blick in den übervollen Saal beginnt der Redner seine dem Klimawandel gewidmete Philippika. Da erschallt bereits der erste Zwischenruf: „Kulturbanause! Verdi hat nie dieses Stück komponiert. Und Sie wollen uns weismachen, dass es einen Klimawandel gibt? Haha!“ Des Redners Hände ruhen auf dem sperrigen Rednerpult. Ohne Verkrampfung hält er sich an diesem Möbel. Als wäre dieses der Inbegriff der Erdanziehung. Er blickt in Richtung des Zwischenrufers, atmet tief ein, legt sein bestimmt minutiös vorbereitetes Manuskript zur Seite und antwortet: „Hören Sie mir doch zu! Wenn vier Jahreszeiten nicht mehr existieren, sondern deren fünf, kann ein Vivaldi nicht mehr zu seinen Kompositionen stehen, gibt diese dem Dramatiker der Musik, der Oper, der auf immer neuen möglichst effektvollen und auch Blut triefenden Szenen steht, ab. Doch Sie und alle hier im Saal sind heute Abend hierhergekommen um Neues zum Klimawandel zu erfahren und das will ich vorstellen, auch wenn es mir keine Freude, keinen Spass bereitet, diesen Saal heute und jetzt mit dramatischen Zukunftsszenarien zu konfrontieren, die bereits morgen durch die Medienpräsenz, die ich besonders begrüssen möchte und damit ‚around the world‘ in aller Munde sein werden, doch kaum jemanden munden dürften“.
Der Vortragende greift zum Wasserglas, nimmt einen tiefen Schluck, lässt dabei Sekunden verstreichen, in denen eine Stecknadel, die zu Boden fallen, einen alle Versammelten erschreckenden Laut verbreiten würde.
Hebt dann erneut zu sprechen an, wobei der Saal sich an seinen aristokratisch bewegenden Lippen richtiggehend festkrallt, denn Neuigkeiten ex cathedra aus erster Hand verbreitet faszinieren die Menschen:
„Wie bereits mit Verdi versus Vivaldi angedeutet, müssen wir, unter ‚wir’ subsumiere ich die gesamte Menschheit und inkludiere dabei auch die uns verwandte Tier- und Pflanzenwelt, Flora und Fauna, uns mit der Tatsache, der bewiesenen Tatsache, so wahr ein Tatbeweis notwendig ist, mit dem Fakt, dem Fakt der auch das hinterste Faktotum treffen wird mit der FÜNFTEN JAHRESZEIT auseinandersetzen, nein nicht aus, sondern diese statt veräusserlichen verinnerlichen. Ob es uns passt oder nicht, ob wir diese als Abenteuer begrüssen, oder verdammen wollen. Die Bedingungen in dieser neuen Jahreszeit, die wie bereits die vier antiquierten Abschnitte des Sonnenjahres, die, wir wissen es je ungefähr ein Viertel des Jahres verwenden, neu einen Fünftel für sich beanspruchen werden sind grunsätzlich gewandelt, sodass wir auf Grund fahren können. Die Begriffsbezeichnung dieses neuen Jahres Abschnitts ist noch nicht festgelegt, das Komitee des Nobelpreises in Stockholm ringt in diesen Stunden, Minuten und Sekunden darum einen allgemeingültigen Ausdruck zu kreieren, der alle befriedigen kann, falls Befriedigung in diesem neuen Jahresabschnitt überhaupt ein Ziel oder besser gesagt eine Möglichkeit sein kann, aber und das ist die gute, positive Botschaft, die ich heute verkünden kann, die Wissenschaft kennt zwar noch nicht den Namen, aber die Bedingungen die in dieser Neuheit, keine Wissenschaft begrüsst sie, das wollte ich ausdrücklich betont haben, herrschen werden.
Ich komme jetzt zur Essenz meiner Ausführungen, für die alle Saalinhalte um den Eintritt gekämpft haben.
Also: Unter Sonnenstrahlen wird es kochend heiss, im Schatten dagegen eisig kalt, das populistisch ausgedrückt, ohne wissenschaftliche Feinheiten und minutiöser Beweisführung. Machen wir uns deshalb auf gleichzeitig überkochende Köpfe und eingefrorene Gedankengänge gefasst. Sollte das jemandem hier im Saal nicht genehm sein, empfiehlt die Wissenschaft die Auswanderung auf die Schattenseite des Mondes, in der glücklicherweise jahrein jahraus einheitliche Bedingungen herrschen, wenn diese auch urungemütlich sind …“