Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche
An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.
Im Archiv können Sie dann auch stöbern und "alte" Kurzgeschichten lesen und anhören.
Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf >>) :
Fliegen
‚FASZINATION FLIEGEN‘, dieser Buchumschlag prangt in allen erdenklichen Blautönen am Nebentischchen des Kaffeehauses, in dem ich Stammgast bin. Stammgast seit dreizehn Jahren, seit ich in dieser Stadt meine Professur an der hiesigen Universität in Parapsychologie angetreten habe. Wurde oft verlacht. Angeschwärzt. Meist in grauer Farbe, denn schwarz/weiss existiert in meinem Fach nicht. Schatten ja, aber Licht? Dieses versuche ich mit meinen Studierenden, insbesondere den Doktoranden in die Schattenwelt in der ich forsche, einzubringen. Hinter dem Buch sitzt in Lektüre vertieft ein wunderhübscher weiblicher Blondschopf, den ich der Wunsch kommt von tief in mir, von meiner Seele, von meinem Animus, der bereits seit dem Aufenthalt in dieser Stadt seiner Einsamkeit einen dicken Schlusspunkt widmen möchte, erobern will. Doch welches weibliche Wesen sehnt sich mit parapsychologischen, unerklärbaren Ereignissen in Verbindung, geschweige denn in einem Ehebett verbunden zu sein.
Die Schrift des Buchtitels erinnert mich an Geheimnisvolles. Runenschrift? Ich kann die Form des Titels nicht genau einordnen. Aber die Farbschattierungen erinnern mich an zahllose, von mir gesichtete parapsychologische Berichte. Muss die Frau, sie trägt im Nacken eine Tätowierung, die verdächtig nach einer fliegenden Fliege aussieht, ansprechen. Aber wie soll ich vorgehen? Ihre Frisur loben, die mich beeindruckt. Ganz eng ums Haupt geschlungen. Mit zahlreichen kleinsten Löckchen. Zum Greifen einladend. Doch das geziemt sich nicht. Mit dem Haus in die Tür einfallen? Immer besser verkehrt herum sich annähern, da bleibt der Fluchtweg gesichert. Die Angesprochene kann dann auf den Fehler hinweisen, sich gut und geistig überlegen fühlen. Muss meinen Professorentitel nicht breittreten. Diesen nicht nennen. Sie soll ruhig denken, ich sei ein Handlanger. Nicht fürchten, dass ich ein Beinlanger sei. Nehme meinen Mut aus meiner Magengrube, die ich zu besänftigen suche. Spreche die von Fliegen faszinierte an, indem ich auf das Buch zu sprechen komme. Frage, ob dieses lesenswert sei. Dieses empfohlen werden könne. Besonders da ich mich bisher in meinem Beruf nur auf Mücken konzentriert hätte. Sei diplomierter Muckenjäger. Was nicht gelogen ist. Denn ein U für ein Ü vormachen will ich der Angebeteten nicht.
Da bittet sie mich an ihr Tischchen. Nehme die Einladung an. Und wes Herz voll ist, will dieses leeren. Auf den Tisch des Hauses, der heute das Kaffeetischchen ist, ausbreiten. Die von mir Begehrte schaut mir tief in die Augen. Mein Herz beginnt deshalb wild zu schlagen. Röte muss mein Gesicht dabei verräterisch überziehen. Beginnt mit ihrer Beichte, als sei ich ihr ‚geistiger‘ Vater. Sie habe von Kleinkind an nur das eine sich gewünscht: Zu fliegen! Habe die Natur innigst beobachtet. Von den geflügelten Arten seien die Schmetterlinge ihre Favoriten. Man müsse nur beobachten, wie ein Engerling sich einpuppe und alsdann diese fantastische Metamorphose vollziehe, um vom kriechenden Wesen in einen Überflieger vielfarbigen Nektarschmauser sich zu verwandeln.
Sie habe all das bis in die kleinste Einzelheit studiert, biologisch nachvollzogen, die von der Natur bestens gehüteten Geheimnisse dieser Transformation entschlüsselt. Dies hier sei heute ihr letzter Kaffeegenuss, denn gleich werde sie hier und jetzt, ich solle mich nicht erstaunen, einpuppen, um dann, als, ja, sie wisse nicht wie ihr kommendes Leben aussehen werde, wieder aufzuerstehen. Zieht eine kleine, handliche Damen-Schusswaffe.
Fürchterlicher lauter Knall.
Es fliesst kein Blut. Natürlich nicht. Einpuppen ist kein blutiger Akt. Bin bereits heute gespannt, welche Farbe der fliegende Menscherling haben wird. Ob er Bücher übers Fliegen samt Tätowierung hinter sich lassen kann. Doch ein leiser Stich in meinem Herzen telegrafiert an meine rechte Hirnhälfte, dass ich in Zukunft weitere einsame Jahre meiner Forschung zu opfern haben werde …