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Fehler

Es war einmal ein kleiner Fehler. Spitz. Mit einer Zipfelmütze versehen. Nein eigentlich widerspiegelte sein Kopfschmuck mehr den Look einer Schlafmütze. Der Fehler hat sich einfach eingeschlichen. In meinen Text. Ich kann nichts dagegen unternehmen. Er ist einfach da. Grüsst mich mit einem breiten Grinsen. Und ich sehe ihn mit zusammengekniffenen schnurgeraden Lippen an. Ärgerlich. Böse. Wie kann er es wagen. Einfach so daher zu kommen. Und was er mir mit seinen dreiunddreissig Lippen mitteilt, ängstigt mich! Echt. Fest. In den Grundfesten meines Seins erschüttern mich seine Worte. Er sucht, wie er mir mit seiner fehlerhaften Fistelstimme sagt, eine Partnerin. Eine Fehlerin. Denn er wolle sich in meinem Leben vermehren. Kinder zeugen. Nein nicht auffällig. Nein mit Anstand. Nicht provozierend. Das wolle er nicht. Überhaupt nicht. Er verspreche das. Zum Zeugen werde er sich in eine Worthülse begeben. Ganz leise. Mich nicht stören bei der Vorbereitung des Desasters das er mir bereiten werde. Leider würde ich ihn dafür alsdann hassen. Aber es sei nicht seine Schuld. Keineswegs. Wer habe denn von Schuld gesprochen. Unschuld sei das bessere Wort. Zweifels- und Fehlerfrei. Aber auch, weil Unschuld zwei Buchstaben mehr besitze als das Wort Schuld. Dadurch ergäben sich zusätzliche Hide-Möglichkeiten für ihn, den Fehler. Ob ich das nicht auch so sehen würde? Da habe sich ja gerade ein Fehler eingeschlichen. Juppidey, nein, eine Fehlerin! Welch Glück, bemerkt er jetzt Gefühlstrunken mit einem plätschernden freudigen Augenleuchten, Hide sei ja nicht in meiner Sprache.

Obwohl und das sei nicht zu verkennen, meint der Fehler, Anglizismen nicht mehr zu Fehlern zu zählen seien. Ganz im Gegenteil. Meine Sprache würde doch davon wimmeln. Da sei es eine Beleidigung für ihn, den makellosen Fehler, von einem solchen zu sprechen. Er wolle gravierender sein. Eingraviert. Mir Schwierigkeiten bereiten. Wie Graviér auf nackten Füssen. Mit spitzen Steinen. Eben, über spitze Steine zu stolpern wolle er mir helfen. Auf dass ich lernen könne. Denn er sei nichts anderes als eine Lehre. Nein keine Schublehre. Auch keine Leere mit zwei E’s. Er wolle nicht schrauben. Nein er wolle mich das Fürchten lehren. Denn schliesslich sei nur Furcht gelehrsam. Oder etwa nicht? Erfolge, ja das sei zwar angenehm, mache aber träge. Man gewöhne sich so daran, wie an den Woohlstand. Woohlstand mit zwei runden O’s. Weil einem so woohl sei dabei. Auch hier mit den beiden runden, prallen, selbstgerechten O’s. Er verbitte sich mein Lächeln. Von der Neudeutschen Rechtschreibung hätte ich scheinbar noch nichts gehört. Denn das AAAH und OOOH sei nach neusten Erkenntnissen nichts anderes als den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Und wenn das nicht modern sei, wolle er sich gleich davon schleichen, oder stehlen, was mir lieber sei. Aus meinem Leben verschwinden. Er sei unschuldig. Wolle einzig den Worten Leben einhauchen. Denn Hand aufs Herz, meint er, leblose Worte sind wie Lebkuchen. Einzig zum sofortigen Verzehr bestimmt. Und er, als echter Fehler, fürchte sich davor verzerrt, ja mit zwei R’s zu werden.

Und ich hätte mich auch zu fürchten, denn schliesslich sei er schwer verdaulich. Jaaawolll! Mit drei A’s und O’s. So fühle er. Und ich könne ihm nicht böse darüber sein, wenn er Gefühle mir gegenüber zeige. Bereit zu dieser reisserischen Enthüllung, wenn auch einer fehlerhaften, sei. Sonst bliebe er ja toter Buchstabe. Und ob ich das, genau das wünschen würde? Er denke nicht, antwortet der Kerl, ohne auf das zu warten was ich zu sagen habe. Und schon greift er nach meinem Leibblatt. Reisst die Wortfürwortparlamentsberichterstattungsseite in seinen Besitz. Denn, wie er mir mitteilt, brauche er jetzt endlich die Worthülsen. Zu seinen Vermehrungsmöglichkeiten. Und diese seien hier, im wörtlich wiedergegebenen Text der Ratsberatungen, besonders gerne daheim. Fänden dort ihre Ware Heimat. Ware ohne H geschrieben. Doch wenn es mich störe, werde er mir das H, zwar nur ein Kleines, schenken. Aber erst wenn er einen anderen Fehler gefunden habe. Und das sei bei mir nicht einfach.

Ganz im Gegenteil, äusserst kompliziert. Denn ich hätte mich einmal als fehlerfrei deklariert, er benütze jetzt meine eigenen Worte: ‚Bin doch keine fehlerhafte Ausschussware’. Das hätte ich erst kürzlich, vielleicht vor ungefähr siebenhundertvierzehn Tagen, drei Stunden, vierundvierzig Minuten und drei Sekunden gedacht. Er wolle genau sein, um ja keinen Fehler zu begehen – das wäre ihm nämlich als Fehler äusserst peinlich - fügte er beinahe rechthaberisch, mich nachzuäffend versuchend, bei. Woher kennt der Kerl meine Gedanken? Wo hat der Unverschämte meine Überlegungen, die selbst nicht in meinem eigenen Gedächtnis gespeichert sind, gestohlen, aufgegabelt, mir entrissen, sich angeeignet? Ein wahrer Unhold ist dieser Fehler, der sich meiner bemächtigen will. Vorsicht, denke ich. Ja keine Worthülsen denken! Sonst nimmt das Unheil seinen Anfang.

Um Himmels Willen, ist nicht bereits das Wort ‚Worthülse’ eine Worthülse’? Diesen Fehler hätte ich nie machen dürfen! Ich höre das Kichern meines Fehlers. Es wird daraufhin augenblicklich still und stumm. Eine Stecknadel könnte ich fallen hören. Was haben denn Stecknadeln in meinem Inneren zu suchen? Ach, ein Fehler sticht. Und mehrere machen aus mir ein wahres Sieb. Ein Sieb das Worthülsen einlässt. Schutz den Fehlern bieten wird. Oh Nein! Was kann ich nur dagegen unternehmen? Welch Fehler, dass ich mich überhaupt mit einem Fehler unterhalten habe. Ihn zuliess. Jetzt ist das Schneebrett losgetreten. Die Lawine wird folgen. Die Lawine die mich in die Tiefe ziehen wird. Mir die Luft entziehen, mich verstummen lassen wird. Wie soll ich dann noch über Fehler berichten? Meine Erfahrungen zum Besten geben. Fehlerfreie Rede halten? Sie prasseln. Die Fehler. Fehlgeleitete Fehler! Ich kann sie nicht mehr aufhalten. Sie verteilen sich so rasend schnell!

Betrachten Sie doch die Wirtschaftsschieflage.
Die Börsen.
Die versalzenen Suppen.
Die Verspätungen der Züge.
Die Abstürze.
Die Klickfehler im Internet.
Die Lokomotiven die Aufeinanderprallen.
Die Nationalmannschaften die verlieren.
Die Verluste der Parteien.
Ich habe das alles losgetreten.
Nein das will ich nicht wahrhaben.
Bin doch kein Wahrsager.
Eher Sie!
Fehlerlosen.
Ja, ich nehme Alles auf mich!
Bewerfen Sie mich mit ihren Worthülsen.
Legen Sie diese auf meiner Fehlermüllhalde ab.
Auf dass sie gedeihen können.
Denn nicht nur Sie, auch die Fehler wollen leben.
Ein glückliches, erfülltes Leben leben.
Oder etwa nicht?

PS: Sollten Sie einen Fehler im Text, ob Interpunktion oder Grammatik finden, ist es bereits geschehen. Hüten und schützen Sie sich. Ansteckungsgefahr ist angesagt! Sehen Sie nach links, nach rechts. Die Fehler vermummen sich. Treten gar fehlerlos auf! Aber ich habe es Ihnen auf alle Fälle gesagt. Sie gewarnt! Mich können Sie nicht verantwortlich machen. Nicht zur Rechenschaft ziehen. Wirklich nicht!


"Fehler" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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