Kurzgeschichte der Woche

Emotions

An dass Menschen Pokemons jagen habe ich mich gewöhnt. Obwohl ich diesen Unsinn nicht verstehe. In abgelegene Stadtteile eilen. In Arenen steigen, und wie vor Jahren Schmetterlingsjäger mit ihren Netzen unterwegs waren, rasen die Menschen heute mit ihren Handys in der Weltgeschichte herum, suchen Befriedigung in der sogenannten Virtuellen Welt. Immerhin - und diesen Fortschritt erkenne ich - es wird nicht mehr aufgespießt sondern mit Geräteschwenkern gejagt. Gefangen. Gesammelt. Gegeneinander angetreten. Obwohl in meinen Augen die Zeit besser eingesetzt werden könnte. Kreativer. Für die Mitmenschen nützlicher. Doch Spaß muss sein. Und dieses Wort ist für jedes Individuum anders auslegbar. Ich jedenfalls kann mit diesen Pack(emoj)-Viechern nichts anfangen. Und auch nicht mit Virtueller Realität. Mir ist Realität so wie sie sich präsentiert lieber. Kompliziert genug so wie sie sich darstellt. Benötige keine Virtualität. Und keine künstlichen Emojs. Besitze genug in meinem Inneren. Die mich ständig quälen oder erfreuen. Je nach dem aus welcher Ecke sie mich drangsalieren.

Heute jedenfalls gestalte ich mir selbst einen gemütlichen Abend. Vor den Fernseher. Mit einem, oder zwei kühlen, am Flaschenglas perlenden, Bierflaschen als Begleiter. Keine Emo(j)tionen. Höchstens bei einem Elfmeter. Oder einem Tor das zugesprochen wird, aber keines sein kann. Noch kurz ein Mail an meine Liebste senden. Sie mag keine Fußballabende. Meidet mich deshalb bei solchen Gelegenheiten. Frauenkränzchen. Oder Ähnliches. Will ihr meine Liebe bekunden. Mit zahllosen Emojs. Die sind schon praktisch. Mit Fingerdruck die Gefühle zeigen. Ohne großen emotionalen Einsatz. Einfach genial. Doch was ist das? Da steigt doch dieses Goldgesicht das ich soeben ins Mail gepackt aus meinem Bildschirm. Springt auf meine Schulter. Versuche es zu vertreiben. Nein, ein ganzer Schwarm. Da hupt mein Handy wie ein Rettungswagen. Das ist die Notfall App der Regierung. NINA die ich mir erst vor drei Wochen heruntergeladen habe. Um bei Katastrophen wie Hochwasser oder Atomkernschmelze frühzeitig gewarnt zu werden. Schon wieder ein Schwarm Emojs. Versuchen meinen Mund zu entern. Gelingt ihnen. Verstecken sich in den Zahnzwischenräumen die ich doch so akkurat täglich fünf Mal pflege. Muss die App öffnen.

Doch da sind solche Kerle bereits unter meinen Fingernägeln. Eine wahre Tortur, wie im Mittelalter mit Hölzchen. "Hört endlich auf!", rufe ich ihnen mit dem Mund voller Emojs lallend zu. Rufe die Polizei. Will endlich wissen was geschieht. Greife nach dem Smartphone. Doch unsmart fällt es mir aus der Hand. Glas splittert. Dem Handy entsteigen Tausende von Emojs. Besetzten jede freie Zelle auf und in mir. Und das Smartphone liest ungerührt mit zarter, dann Streitsüchtiger weiblicher Stimme die Meldung von NINA vor: ”Ausbruch der EMOJS! Unbedingt und unmittelbar Feuerlöscher zur Hand und Kampf aufnehmen.” Ich packe ihn. Richte den Strahl auf mich. Bin ein wandelnder Emo(j)tionshaufen. Fliehe vor mir selbst. Rutsche auf dem Schaum aus. Schaumgeboren … Habe ich doch in der Schule einst gelernt. Welche griechische Göttin war es? Ach wie schwer fällt mir das Denken bei all den Emojs … Ich kann mich nicht erinnern. Muss endlich lernen meine Emojs auszuleben. Sonst werde ich diese nie wieder los ...

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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 23. September 2016 schrieb schrieb H.K.:

"Mein lieber Herr Loeb, die Rache der virtuellen Realität, ausgerechnet der positiven Emojs, die so horrormässig wirken können, ist erschreckend. Dia antiken Erynnien waren dagegen harmlos. Sehr gut verfasst, die kurzen Sätze wirken apodiktisch, betonen die Spannung."


"Emotions" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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