kostenlose Kurzgeschichte der Woche

Der Böshaber

Am Stammtisch sitzend, mein Bier vor mir, dessen Schaum bereits in sich zusammenfällt als wäre das Glas eine Schimäre, höre ich gespannt den Geschichten zu die da herum geboten werden. Je weiter fortgeschritten der Abend, je wilder werden die Erlebnisse die ein jeder, natürlich außer mir, zum Besten gibt. Da werden Abend- und Morgenteuer erzählt, kostbare und billige, Schnäppchen und Trouvaillen. Ich bleibe stumm. Meine Ohren gespitzt, als wären diese durch den Tag ein stumpfes Bleistift gewesen, das durch all die Worte zu einer scharfen Spitze, nein, deren zwei geworden wären. Als Schriftsteller bin ich auf Neues und Kreatives angewiesen, hole mir manches an diesen wöchentlichen Zusammentreffen in denen die Fantasie und der Gerstensaft in jeder Menge fließen. Wahr oder erfunden, oder gar eine Straßenkreuzung zwischen beidem? Ist unerheblich. Heblich einzig der Kick den ich dadurch meiner Feder biete. Ja, ich schreibe nur mit Gänsekiel die ich mir an Sankt Martin jeweils im November beim Gänserich kurz nach seinem Ableben besorge.

Beim Nachbar der eine Gänsezucht betreibt besorge. Gänsekiele haben es in sich. Die führen ein Eigenleben. Von Jahr zu Jahr. Fügen oft wilde Gedanken die ich am Stammtisch mitbekomme zu einem Ganzen zusammen, als ob sie ihr Leben, das verpasste, das zu kurz geratene, nachholen wollten. Mein Übername in der Runde lautet ‚Schweiger‘. Bin stolz darauf, denn selbst wenn ich angesprochen werde zum einen oder anderen meinen Senf beizutragen, bleiben meine Lippen fest verschlossen. Denn Senf ist mir zu scharf oder zu mild, das Mittendrin habe ich noch nicht entdeckt. Ja, und dann gestern Abend, die Runde war richtig aufgewärmt, nein, aufgeheizt, setzte sich ein Fremder, keiner der Runde kannte ihn, das stellte sich heraus als er bereits wieder verschwunden war, zu uns. Einfach so. Ohne nach Erlaubnis zu fragen. Kein Anstand, mit dem ICE durch die Kinderstube gerast, dachte ich. Auch meine Stammtischkumpane zogen Sonderfurchen durch ihre mehr oder weniger ausgeprägten Stirnlandschaften. Aber nur solange bis er begann seine fabelhaften Fabelgeschichten zu erzählen. Wir alle hingen an seinen Lippen, als seien diese Stahlseile in Felswänden um Bergsteigern die Besteigung zu erleichtern. Er berichtete so plastisch, beinahe vierdimensional von seinen Liebesabenteuern, dass kaum ein Atemzug der Runde zu hören war und selbst der Gastwirt sein eigener Gast wurde, seine Bierumsatzsteigerungsfragen vergaß. Casanova war, so schlussfolgerte ich ein Waisenknabe gegen den Unbekannten.

Abenteuer um Abenteuer die bis zum Morgengrauen sich verlängerten präsentierte er uns auf dem Serviertablett seiner Zunge. Morgengrauen? Morgen-Grauen erfasste mich. So viel Futter für meinen Gänsekiel, dass dieser bestimmt eine Verstimmung einfangen würde, wenn nicht gar mit dem Kiel auflaufen, oder mit dem Kiel nach oben davonschwimmen würde. Und bis Sankt Martin waren noch Monate vor mir! Was würde ich ohne Gänsekiel unternehmen? Verdursten? Oder an den schriftstellerischen Anregungsmengen ersticken? Ich begann zu überlegen wie mich aus dem Bann des Erzählers zu befreien, als dieser sich erhob, ein hässlich, hämisch intoniertes Lachen von sich gab. Seine Visitenkarte in grell gellendem Rot auf den Wirtshaustisch warf, sich lauthals entschuldigte, er habe noch einen Termin beim Doktor und aufstampfend im Boden verschwand, nicht ohne dabei seine FAUST zu ballen und einen Schwefelgeruch zu hinterlassen …




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